Adrenalin, Respekt und kein Platz für Eitelkeit
Ein Gespräch mit Downhill-Experte Tim Scholz vom Fahrradhändler Statera Bikes in Gengenbach über die Red Bull Hardline 2025, waghalsige Sprünge und das Miteinander im Extremsport
Tim, ich geb’s gleich zu: Ich hab von Downhill-Fahren so gut wie keine Ahnung. Ich hab mir auf YouTube ein paar Red Bull Hardline-Videos angesehen – da bekomme ich schon schwitzige Hände, wenn ich nur zusehe. Warum schaut man sich so was überhaupt an? Geht’s da insgeheim um die Hoffnung, dass jemand stürzt? Oder eher um das Staunen?
Tim Scholz:
Ich glaube, es ist eine Mischung aus beidem. Natürlich ist da ein gewisser Reiz, ein Nervenkitzel. Das ist bei Actionsportarten ja immer so. Aber was die Leute wirklich fasziniert, ist dieses Können. Die Vorstellung: Da fährt jemand mit unglaublicher Geschwindigkeit einen irrsinnig steilen Trail runter, springt 20 oder 30 Meter weit und hat dabei noch die Kontrolle. Viele denken sich dann: „Krass, was der da kann!“ Und manche, die selbst fahren, überlegen vielleicht sogar: „Wie weit bin ich selbst davon entfernt?“
Du bist ja selbst aktiv. Könntest du bei so einem Rennen mitfahren?
Scholz:
(lacht) Naja, die ganz großen Sprünge eher nicht. Aber grundsätzlich würde ich da wohl irgendwie runterkommen, das traue ich mir schon zu. Was die Profis dort aber leisten, ist noch mal eine ganz andere Liga. Es geht nicht nur ums Runterkommen, sondern um die Kombination aus Präzision, Geschwindigkeit und Risikomanagement. Und das auf einer Strecke, die wirklich alles von einem abverlangt. Das ist das Beeindruckende.
Was genau macht denn die Red Bull Hardline aus? Was ist anders als bei einem klassischen Downhill-Rennen?
Scholz:
Also normalerweise kennt man ja Downhill-Rennen aus dem UCI-Weltcup. Da geht’s ganz klassisch von oben nach unten, Zeitmessung, Steinfelder, Wurzelpassagen, das Übliche. Schon anspruchsvoll, keine Frage. Aber Red Bull hat 2014 gesagt: „Wir wollen das Ganze auf ein neues Level heben.“ Herausgekommen ist die Hardline, ein Downhill-Rennen auf Steroiden. Steiler, schneller, technisch brutaler und mit riesigen Sprüngen, die sonst in keinem regulären Rennen vorkommen würden. Da muss man teilweise 25 oder 30 Meter weit springen. Es ist ein Mix aus technischem Downhill und Freeride-Elementen. Für Zuschauer ist das natürlich spektakulär. Und genau das will Red Bull ja auch: ein Actionsportevent, das hängenbleibt.
Kann da eigentlich jeder mitfahren, der sich das zutraut?
Scholz:
Nein, überhaupt nicht. Die Hardline ist ein Einladungsevent. Da kann man sich nicht einfach qualifizieren oder irgendwo anmelden. Red Bull lädt gezielt Fahrer ein, meist absolute Spitzenleute, oft aus dem eigenen Sponsorenpool. Es geht also nicht nur um Können, sondern auch um Reichweite und Renommee.
Und nach der Hardline fahren die Fahrer wieder ihre regulären Rennen?
Scholz:
Genau. Die meisten sind ganz normal im Downhill-Weltcup aktiv. Da gibt’s über das Jahr verteilt mehrere Rennen, ähnlich wie beim Skispringen oder der Formel 1. Punkte sammeln, Podiumsplatzierungen holen, am Ende gibt’s eine Gesamtwertung. Die Hardline ist da eher ein Highlight zwischendurch, ein Showcase, wenn man so will. Aber die regulären Rennen sind deshalb nicht weniger anspruchsvoll. Zum Beispiel gab’s dieses Jahr ein Rennen in La Thuile mit 640 Höhenmetern auf 2,3 Kilometern – das ist steiler als die Streif in Kitzbühel. Also langweilig wird’s da auch nicht.
Wie sieht’s eigentlich mit dem Material aus – sind die Bikes danach noch zu gebrauchen?
Scholz:
Auf jeden Fall. Die Räder sind heute so robust gebaut, dass sie das gut wegstecken. Klar, es kann mal ein Laufrad beschädigt werden oder eine Felge bekommt eine Delle. Aber die Rahmen und Federelemente halten. Selbst für Endverbraucher: Ein gutes Downhill-Rad kannst du locker mehrere Jahre fahren. Und bei den Profis? Da ist natürlich ein Mechanikerteam dabei, das alles vor und nach dem Lauf checkt. Neue Reifen, zentrierte Laufräder, saubere Lager, da wird auf jedes Detail geachtet.
Und der Körper? Das geht doch brutal auf die Gelenke, oder?
Scholz:
Interessanterweise gar nicht so sehr, wie man denkt. Durch die gute Federung und die hohe Körperkontrolle ist Downhill vergleichsweise gelenkschonend. Anders als beim Laufen, wo bei jedem Schritt Schläge auf die Knie gehen. Die Fahrer trainieren gezielt ihre Muskulatur, um Stöße abzufangen. Klar: Wenn man stürzt, tut’s weh. Aber das passiert verhältnismäßig selten, weil die Fahrer extrem gut einschätzen können, was geht und was nicht.
Wo ist eigentlich die Grenze? Irgendwann muss doch Schluss sein mit dem „immer noch krasser“?
Scholz:
Gute Frage. Letztes Jahr in Wales haben sie z. B. einen riesigen Canyon-Sprung gebaut, mit einer Holzrampe und einem 25-Meter-Gap. Die Fahrer haben das im Training getestet, und einer ist dabei gestürzt. Danach haben sie gesagt: „Das ist zu gefährlich, wir bauen’s wieder zurück.“ Und genau das zeigt: Die Fahrer sind keine Hasardeure. Die wissen, was sie tun. Klar, sie pushen sich, aber sie entscheiden auch, wo Schluss ist. Und Red Bull zieht da mit. Denn am Ende bringt es nichts, wenn von 20 eingeladenen Fahrern 18 sagen: „Mach ich nicht.“
Wie lang dauert es eigentlich, nach einer Verletzung wieder zurückzukommen?
Scholz:
Kommt drauf an. Jackson Goldstone zum Beispiel hat sich 2024 bei der Hardline in Australien das Kreuzband gerissen und hat genau ein Jahr später an genau derselben Stelle gewonnen. Das ist eine enorme mentale Leistung. Klar, medizinisch haben die Fahrer durch Red Bull Top-Betreuung. Aber dass man so zurückkommt und dann auch noch siegt, das ist wirklich beeindruckend.

Gibt’s eigentlich Altersgrenzen im Sport?
Scholz:
Nein, überhaupt nicht. Es fahren Leute mit, die sind 18 und andere sind über 40. Gee Atherton z. B. ist 40 und noch topfit dabei. Klar, die Jüngeren sind körperlich vielleicht noch ein bisschen belastbarer, aber die Älteren bringen Erfahrung, Fahrtechnik und ein anderes Risikobewusstsein mit. Beides hat seinen Platz – wie im Fußball ein Thomas Müller und ein Jamal Musiala.
Gibt es denn dann untereinander echte Rivalität wie auf dem Fußballplatz, wo es scheint, dass man schon ein eigenes Elite-Denken hat?
Scholz:
Ganz im Gegenteil. Das ist einer der großen Unterschiede zu vielen anderen Sportarten. Die Fahrer pushen sich gegenseitig, geben sich Tipps, helfen einander. Wenn jemand einen Sprung als Erster steht, zieht er die anderen drüber. Da geht’s um Miteinander, nicht um Ellbogen. Im Rennen zählt die Zeit, klar. Aber abseits davon ist der Respekt riesig. Eigentlich könnte man sagen: Downhill ist eine Blaupause für eine ideale Gesellschaft. Keiner schaut auf den anderen herab, es gibt keinen Neid, nur Leidenschaft und gegenseitige Anerkennung.
Und wie ist das mit dem Publikum? Schauen da eher Neugierige oder echte Fans zu?
Scholz:
Beides. Vor Ort ist das Publikum eher klein, weil die Strecke schwer zugänglich ist. Aber auf Social Media ist das Ding riesig. Die Fahrer posten Videos, ihre Sprünge, Trainingsläufe, das Event lebt digital. Und: Viele Zuschauer fahren selbst. Sie wissen, wie schwer das ist. Es ist kein Konsumsport wie beim Skifahren, wo man vielleicht einmal im Jahr runterbrettert. Die meisten, die sich für Hardline interessieren, stehen selbst regelmäßig auf dem Bike.
Über Tim Scholz
Tim Scholz, 28, ist leidenschaftlicher Mountainbiker und aktiver Downhill-Fahrer. Er fährt seit über 15 Jahren Rennen.
Über Statera Bikes
Statera Bikes ist einer der größten Bike-Händler im Schwarzwald Auf 1.400 Quadratmetern Im Ladengeschäft und auch online stehen Bike-Enthusiasten oder Freizeitradlern Fahrräder und E-Bikes aller gängigen Marken zur Verfügung. Das Unternehmen wurde 2011 gegründet und beschäftigt 60 Mitarbeiter. Weitere Informationen: www.staterabikes.de
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