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LARS LIENHARD – THE BRAIN BEHIND

X-ACES.COM INTERVIEW ZUM THEMA NEUROATHLETIK
Zum Start der ISPO 2024

Fragen / Q&A:

Sie arbeiten mit Spitzensportlern*innen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen.

Ob Fußball, Tennis, Handball, Leichtathletik, Einzelsport oder Teamsport – Neuroathletik kann in allen Bereichen eingesetzt werden?

Wenn Sie einem 5-jährigen Kind erklären müssten, was Neuroathletik ist und was Sie da beruflich machen, was würden Sie sagen?

  • Ich mache, dass sich Sportler noch besser bewegen können in dem ich ihrem Kopf und Körper helfe sich besser zu verständigen.

Welchen Faktor spielt die innere Überzeugung bei den Spitzensportlern*innen?

Ist die innere Überzeugung Grundvoraussetzung für den Erfolg der Neuroathletik?

Oder gibt es auch Athleten*innen, die skeptisch sind und bei denen trotzdem Erfolge festzustellen sind?

  • Ja natürlich gibt es immer Erfolge. Es handelt sich bei unserem Training ja um reale neurophysiologische Veränderungen. Allerdings ist der Zugang oft schwieriger, wenn sich das Gehirn der Sportler auf etwas negatives einstellt, da die sogenannte Salience (also die subjektiv empfundene Wichtigkeit für das was man tut) Grundlage der neuroplastischen Anpassungsprozesse ist.

Und spielt die intrinsische Motivation eine Rolle? Müssen die Athleten*innen von der Wirkung überzeugt sein, damit die Übungen auch eine Veränderung erzielen?

  • Um bestmögliche neuroplastische Veränderungen zu bewirken ist die Einstellung natürlich ein wichtiger Faktor. Dies bezieht sich auf alle Trainingsformen und dies unabhängig davon ob es ein neurozentrierter oder mehr physiologisch-strucktureller Ansatz ist.

Wieviel Training ist notwendig? Reicht das einmalige ‚Einstellen‘ oder Stimulieren oder müssen die Übungen dann als ‚Hausaufgabe‘ immer wieder von den Athleten*innen umgesetzt werden?

  • Witzigerweise fragt das niemand nach einem einmaligen Krafttraining. Wie bei allen Trainingsprozessen geht es um Adaptationen, die immer ihre Zeit benötigen. Die Geschwindigkeit bis etwas nachhaltig gefestigt ist ist jedoch zum Teil sehr unterschiedlich. Es kommt tatsächlich regelmäßig vor, dass eine einzelne Session nachhaltige Veränderungen bewirkt. Grundsätzlich sollte man jedoch für „Neuroathletik-Hausaufgaben“ ca 20-30 min am Tag einplanen.

Wird sich die Neuroathletik so weiterentwickeln, dass bald jeder Athlet*in oder Verein im Spitzensport einen eigenen Neuroathletik-Trainer hat oder engagieren wird? Immer mehr Verbände und Vereine erkennen mittlerweile den Mehrwert dieses Ansatzes. Jedoch halte ich es für unwahrscheinlich, dass das Neuroathletik-Training in der nächsten Zeit flächendeckend Einzug erhält, da hierfür erst eine ausreichend große Anzahl von Trainern qualifiziert werden müssen. Insbesondere die Qualität der Ausbildung, sowie die die Praxiserfahrung des Trainers sind hier sehr entscheident, ebenso wie die Möglichkeit der Interaktion mit Technik- und Athletiktrainern, den Physios, etc. Es muss also auch im Team ein Verständnis für die Relevanz und das Potential von Neuroathletik geschaffen werden um eine sinvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen. Neuroathletik soll ja nie Training ersetzen, sondern immer Training ergänzen.

Wie haben Sie vor vielen Jahren selbst vom Thema Neuroathletik erfahren?

  • Ich bin über Internetrecherchen auf Dr. Eric Cobb (Z-Health System) gestoßen und haben mich dann intensivst mit seiner Arbeit beschäftigt. Diese bildet die Grundlage des von mir entwickleten Ansatzes des Neuroathletikrainings.
  • Den Ursprung hat die Neuroathletik in den USA. Dort ist das Thema bereits seit einigen Jahrzehnten auf der Agenda. Richtig ins Rollen gebracht hat es dort Anfang der 2000er Jahre eben genau Dr. Eric Cobb. Der US-Chiropraktiker war der Erste, der die Erkenntnisse der funktionellen Neurologie in das klassische Athletiktraining integrierte und so neue Trainingsmethoden entwickelte. Zahlreiche US-Leichtathleten*innen vertrauten fortan seiner Methode. Auch der LeBron James, der NBA-Star hatte während seiner Zeit bei den Miami Heat einen Neuro-Doc an seiner Seite.
  • Laut klassischer Bewegungslehre ist Kraft ein körperliches Attribut und dessen zentralnervöse Steuerung spielt nur eine untergeordnete Rolle. Das stimmt aber nicht, denn Muskeln führen nur die Bewegungsmuster aus, die das Gehirn ihnen aufträgt. Deswegen liegt der zentrale Inhalt der Neuroathletik in der Betrachtung des Gehirns. Der Ansatz: Wie kann die Steuerung im Gehirn gezielt verändert oder beeinflusst werden – beispielsweise durch ausreichend hochwertige Informationen aus den Sinnesorganen? Ich wollte wissen, wo liegt in der „Software“ des Gehirns das Problem liegt und wie kann ein individuelles Update aussehen.

Wieviel Potential liegt hier in diesem Bereich noch?

  • Ein riesiges! Die neurozentrierte Sichtweise auf Leistungsverbesserung, Therapie und Prävention ist ja ein recht junges Gebiet, insbesondere in Sachen Forschung und Wissenschaft. Wir bekommen gefühlt täglich neue Informationen über Zusammenhänge in der Kommunikation zwischen Gehirn und Körper oder den funktionellen Verbindungen innerhalb des Gehirns. Das macht dieses Gebiet so spannend und ermöglicht lebenslanges Lernen.

Wie ist der Erfolg der Neuroathletik messbar?

  • Alles was wir machen führt zu einer Veränderung der Qualität der Bewegung und damit auch einer Veränderung des sogenannten Outputs, also der messbaren Resultate, wie Kraft, Bodenkontaktzeiten, Bewegungsweiten, Präzision, Muskelspannung, etc.

Kann Neuroathletik auch präventiv eingesetzt werden oder nur bei Problemen? Neuroathletik kann und sollte präventiv eingesetzt werden! Jede Bewegungsausführung ist immer nur so gut wie die eingehenden sensorischen Informationen aus dem Körper und der Umwelt aufgenommen und verarbeitet werden können. Genau hier setzen wir mit der Neuroathletik an, indem wir fragen:welche Informationen braucht das Gehirn um die anstehende Bewegungsaufgabe bestmöglich zu lösen? Stimmen die Informationen, die es zum Beispiel über die Umwelt, den Körper und dessen Veränderung im Raum bekommt nicht miteinander überein so ist der Organismus nicht optimal auf die Situation vorbereitet. Dann sinkt nicht nur die Leistungsbereitschaft und Effizienz der Bewegung, auch die Wahrscheinlichkeit von Verletzungen steigt.

Wie grenzt sich der Bereich ‚Mentales Training‘ von der Neuroathletik ab?

Haben diese beiden Bereiche Schnittstellen oder sind das grundsätzlich zwei vollkommen verschiedene Bereiche?

  • Das Organ „Gehirn“ ist natürlich die physiologische Grundlage beider Ansätze und die Netzwerke mit denen wir in der Neuroathletik arbeiten haben auch Einfluß auf mentale, psychische und emotionale Regelkreise. Die Auswirkungen auf diese Systeme zeigen sich schnell sind jedoch eher als positive Nebeneffekte unseres Trainings zu verstehen. Um im mentalen Bereich bestmögliche Veränderungen zu erzielen bedarf es aber spezialisierter Expertise auf diesen Gebieten.  Wir schaffen vereinfacht gesprochen bessere Rahmenbedingungen die dann von den Mentaltrainer:innen genutzt und mit spezifischen „Inhalten“ befüllt werden können. Gerade die Regulation des autonomen Nervensystems ist hier von großer Bedeutung.

Bitte geben Sie Beispiele, welche körperlichen Beschwerden oder Probleme durch Neuroathletik verbessert werden können und welche nicht? Gibt es Limits?

Das Gehirn reguliert den ganzen Organismus, daher würde es den Rahmen sprengen diese alle aufzuzählen. Neben der Verbesserung von Stabilität, Kraft, Bewegungsweite, Bewegungsqualität, Schnelligkeit und Ausdauer sind auch Aspekte der Wahrnehmung und Entscheidungsfindung durch Neuroathletik zu optimieren.

Würde ein Tennisprofi, der über einen chronischen Tennisarm klagt und morgen ein Finale spielt, bei Ihnen quasi über Nacht alle Beschwerden los?

  • Es kann fast immer Verbesserungen innerhalb der Symtomatik geben, aber wahrscheinlich würde es nicht zu einer Lösung der Gesamtproblematik “Tennisarm“ über Nacht kommen. Hier muss immer an der Ursache gearbeitet werden und je länger ein Problem besteht, desto länger dauert meist die vollständige Rehabilitation.

Wie schnell können Sie Probleme mit Neuroathletik lösen oder abstellen?

  • Das ist tatächlich sehr individuell. Grundsätzlich ist das Nervensystem das am schnellste operierende System des Organismus und es zeigen sich daher schnell Veränderungen. Der Übertrag in die Nachhaltigkeit hängt von vielen Komponenten ab und kann nicht mit einen klaren Zeitraum umgrenzt werden. Es geht im allemeinen jedoch deutlich schneller als man glaubt.

Sie gelten in der Neuroathletik als Vorreiter. Haben Sie sich diesen Pioniergeist behalten?

Was sind ihre Pläne und Ziele für die nächsten Jahre?

  • Ich glaube ja, zumindest ist die Leidenschaft, die Neugier und mein Staunen darüber was alles möglich ist geblieben – und ehrlich gesagt vielleicht sogar noch stärker geworden. Was mein Zukunft betrifft so werde ich wohl immer mit Athleten arbeiten. Die Arbeit „auf dem Platz“ ist nach wie vor das wo ich mich am lebendigsten fühle. Mein zweites Arbeitfeld ist mittlerweile unser Ausbildungsinstitut, das ich zusammen mit meiner Frau gegründet habe. Das Weitergeben unser Praxiserfahrungen nimmt einen immer größeren Teil meines Lebens ein. Wir können uns sehr glücklich schätzen, dass wir es über die Jahre ein Ausbildungskonzept geschaffen haben, dass es Therapeuten, Trainern und Athlent ermöglicht den theoretischen Hintergrund und unsere jahrelange Praxiserfahrung im Spitzesport in ihren Bereich zu übertragen.Hinzukommen auch immer mehr beratende Aufgaben in Verbänden, Vereinen oder anderen privaten oder staatlichen Organisationen  bei denen es darum geht unseren Ansatz der Neuroathletik in bestehende Konzepte bestmöglich einzuarbeiten. Es bleibt spannend.

Herr Lienhard, vielen Dank für das Gespräch

Weitere Infos unter: https://www.ispo.com/health/neuroathletik-gamechanger-oder-unsinn

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